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Randomisierte kontrollierte Studien zur osteopathischen Behandlung des Ganglion pterygopalatinum:

DOI 10.1055/a-1345-6222
DO – Deutsche Zeitschrift für Osteopathie 2021; 19: 25–27

Dieser elektronische Sonderdruck ist nur für die Nutzung zu nicht‑kommerziellen, persönlichen Zwecken bestimmt (z. B. im Rahmen des fachlichen Austauschs mit einzelnen Kollegen und zur Verwendung auf der privaten Homepage des Autors). Diese PDF‑Datei ist nicht für die Einstellung in Repositorien vorgesehen, dies gilt auch für soziale und wissenschaftliche Netzwerke und Plattformen.

Jacq O, Arnulf I, Similowski T et al. Upper airway stabilization by osteopathic manipulation of the sphenopalatine ganglion versus sham manipula- tion in OSAS patients: a proof-of-concept, ran- domized, crossover, double-blind, controlled study. BMC Complement Altern Med 2017; 1: 546. doi:10.1186/s12906-017-2053-0

Die Idee war, osteopathische Studien mithilfe wissenschaftlicher Datenbanken nach folgenden Kriterien zu suchen: Es sollten Interventionsstudien sein, damit die Leser einen praktischen Nutzen haben, sie sollen in einem PubMed-gelisteten Journal veröffentlicht worden und als kostenloser Voll- text erhältlich sein.

Die Eingabe in PubMed lautete „osteopathic manipulative treatment“, nach und nach wurden weitere Filter akti- viert und z. B. die Begriffe „free full text“, „kontrollierte randomisierte Studie“ (Randomized Controlled Trial) und „Meta-Analysis“ eingegeben. Von den zunächst über 1700 Treffern verblieben später nur noch 40. Ausgewählt wurde der hier vorgestellte Artikel.

Hintergrund:
Die osteopathische Behandlung des Gan- glion pterygopalatinum (GPP) kommt bei Rhinitis und Schnarchen zur Anwendung, sie soll zudem die Stabilität des Pharynx erhöhen. Diese Studie wurde konzipiert, um die Auswirkungen dieser Behandlung auf die pharyngeale Stabilität zu unter- suchen, die beim obstruktivem Schlaf-Ap- noe-Syndrom (OSAS) durch den kritischen Verschlussdruck (Pcrit) bewertet wird. Dieser Wert ist das individuelle Maß einer Kollapsneigung der oberen Atemwege, wie man es beim Schnarchen kennt, und wird in einem Schlaflabor bestimmt. Während bei einer Normalperson ein regulärer Druck von − 15 cm Wassersäule durch die Inspiration zu einem Verschluss führt, beträgt der Pcrit  bei  OSAS-Patienten nur

− 1,6 bis + 2,4 cm Wassersäule [1]. Pcrit ist also der Druck, der aufgebracht werden muss, um einen kompletten pharyngealen Kollaps zu verursachen. Bei einer Normalperson hält der Pharynxbereich somit dem durch eine Zwerchfellaktivität erzeugten Unterdruck auch mithilfe einiger stabilisierender Muskeln stand; bei Tonusverlust kollabiert das Lumen schon bei niedrigem Drücken und es kommt zum Schnarchen und sogar zu Atemaussetzern.

Methoden:
Diese randomisierte Cross-over-Doppel- blind Studie verglich die aktive Manipulation mit der Scheinmanipulation des GPP. Die Randomisierung erfolgte mittels Computer. Die Zahl der eingeschlossenen Patienten reduzierte sich nach einem Drop- out von 10 auf 9 Teilnehmer. Diese erhielten entweder zuerst die aktive Intervention (AI) und 3 Wochen später die Schein- Manipulation (SM) oder umgekehrt.

â–ª Das Protokoll umfasste 4 Besuche.

â–ª            AI oder SM wurden an den Terminen 1 und 3 durchgeführt.

â–ª Die Behandlungstermine 2 und 4 waren jeweils 2 Tage nach den Terminen 1 und 3.

Die Wirkungen der Behandlungen wurden 30 Minuten nach AI oder SM bei der 1. und der 3. Behandlung gemessen, bei den Terminen 2 und 4 jeweils 48 Stunden nach Therapie. Dies ist das Design einer Crossover-Studie. Somit erhalten die Teilnehmer erst die eine und nach Ablauf der Studienphase auch die alternative Therapie. Bei Cross-over-Studien wird also nicht die Therapie, sondern die Reihenfolge der Intervention dem Probanden zufällig Zuge- teilt.

 

Die AI und die SM wurden von einem Osteopathen in der Abteilung für Schlafmedizin in einem Pariser Krankenhaus durch- geführt. Die Technik wurde rein manuell nacheinander auf dem linken und rechten GPP durchgeführt. Der Osteopath führte mit dem kleinen Finger entlang der Ober- kiefermolaren einen nach dorsomedial gerichteten Druck in Richtung Fossa pterygoidea aus. Als Endpunkt der Behandlung wurde das Erreichen einer Entspannung genannt [2]. Bei der Scheinbehandlung wurde der gleiche Druck dorsolateral aus- geübt, der Kontakt bestand also auf der benachbarten Mundschleimhaut.

Der primäre Zielparameter war die Messung des kritischen Verschlussdrucks (Pcrit) in den oberen Atemwegen. Die sekundären Zielparameter waren u. a. die Bewertung der Schläfrigkeit (Epworth-Ta- gesschläfrigkeits-Skala) und des Schnarchens mittels Befragung des Partners. Andere Endpunkte sind der Tränenfluss mittels Schirmer-Test, der Schmerz bei der Behandlung mittels visueller Analogskala (VAS) und allgemeine Empfindungen wie Geschmacks-, Geruchs- oder Sehveränderungen mittels Interviews und Fragebogen.

Ergebnisse:
â–ª Primärer Zielparameter: Trotz der geringen Stichprobengröße lassen die Ergebnisse auf einen möglichen Effekt einer einzigen osteopathischen Behandlung des GPP bezüglich der Stabilität der oberen Atemwege schließen.

â–ª Sekundäre Zielparameter:

– Tagesschläfrigkeit: Der Epworthscore nahm in der Interventions- gruppe um 3 Punkte ab, in der Scheingruppe nur um 1 Punkt.

– Schnarchen: 48 Stunden nach der Intervention sagte die Hälfte der Schnarcher, dass sich die Intensität vermindert habe. Bei den Scheinbehandlungen berichtete keiner der Schnarcher von einer Reduzierung.

– Schmerz: Auf der VAS gaben die Patienten der Interventionsgruppe während der Therapie einen Score von 8/10 an, in der Scheingruppe einen Score von 0/0.

– Tränenfluss: Dieser nahm nach der Intervention um 11 Punkte zu, wo- bei 5 Probanden eine erhöhte, 1 Pa- tient identische und 3 eine verminderte Sekretion aufwiesen. In der Scheingruppe nahm die Sekretion sogar um 8 Punkte ab.

– Interview und Fragebogen zur Empfindung: Die Patienten berichteten über signifikant mehr Empfindungen, z. B. Schmerz-, taktile oder Geruchsempfindungen, nach der Intervention als nach der Scheinbehandlung. Unterschiede beim Sehen und Hören gab es nicht. Im Interview berichteten die Teilnehmer in der Interventionsgruppe von einer Verringerung der Nasenverstopfung und/oder dem Gefühl des leichteren Atmens durch die Nase. Beschrieben wurden das Gefühl der Mundöffnung, eines leichten „Blutgeschmacks ohne wirkliche Blutung“ und die Wahrnehmung von Entspannung und Befreiung. Ein Patient berichtete über das Abklingen eines latenten Kopfschmerzes, der seit 6 Monaten vorhanden war.

Was macht das Thema interessant?

OSAS ist eine häufige Erkrankung, wobei die Prävalenz einer obstruktiven Schlafapnoe in der Bevölkerung bei 3–7% der Männer liegt und bei 2–5 % der Frauen [3], wobei eine aktuelle Studie sogar 49,7 % bzw. 23,4 % als OSAS-Patienten identifizierte [4]. Die Erkrankung ist durch eine wiederholte Obstruktion der oberen Atemwege im Schlaf gekennzeichnet, die zu einer Atemunterbrechung und dadurch zu einer reduzierten O2-Sättigung führt und mit einem reflektorischen Anstieg des Sympathikotonus einhergeht [5]. Dies führt häufig zu einer essenziellen Hyper- tonie. Ein ausgeprägtes OSAS kann Unfälle im Zusammenhang mit exzessiver Tagesmüdigkeit [6]; kardiovaskulären [7], kognitiven [8] und metabolischen Erkrankungen hervorrufen [9].

 

Schulmedizinische Behandlungsansätze bestehen in der nächtlichen, kontinuierlichen Beatmung mit positivem Atemwegs- druck (CPAP) [10]. Eine alternative Behandlung ist die Schienentherapie zur Unterkiefervorverlagerung [11]. Ziel ist es, die oberen Atemwege offen zu halten bzw. zu vergrößern. Obstruktive Apnoen haben häufig anatomische Ursachen (zu enge Atemwege, Makroglossie [12]), bei der Hälfte der Betroffenen treten diese anato- mischen Anomalien allerdings nicht auf. Dies deutet darauf hin, dass funktionelle Veränderungen ebenfalls zur Pathophysio- logie beitragen.

Diskussion:

Dies ist die 1. Studie, in der die Wirkung einer osteopathischen Behandlung des GPP auf die Stabilität der oberen Atemwege bei wachen Patienten anhand eines physiologischen Endpunkts (Pcrit) unter- sucht wurde. Neben der Tatsache, dass die Autoren sogenannte „harte“ Messinstrumente nutzten, um den Pcrit zu ermitteln, wurde in dieser Studie zudem eine Doppelverblindung versucht. Hier waren die Patienten verblindet; die Scheinbehandlung wurde so gewählt, dass diese kaum von der aktiven Intervention am Ganglion zu unterscheiden war. Im an- schließenden Interview wurden die Pro- banden gefragt, welche Technik die aktive und welche die Scheintechnik war. Die Au- toren merkten an, dass sich 3 Probanden nicht entscheiden konnten, welche die aktive Manipulation war. 6 Teilnehmer behaupteten, dass die passive bzw. „Scheinbehandlung“ die aktive Manipulation war. Also lagen die meisten Probanden falsch und somit halten die Autoren dies für eine korrekte Verblindung nach den CONSORT- Richtlinien [13]. Zudem war der den kritischen Verschlussdruck (Pcrit) prüfende Arzt ebenfalls verblindet; er hatte keine Kenntnis darüber, ob zuvor eine AI oder eine SM durchgeführt worden war.

 

Die Autoren merkten selbst in ihrer Diskussion an, dass die  Stichprobengröße n = 10 gering ist und die Ergebnisse durch weitere Studien bestätigt werden sollten. Sie haben die kleine Teilnehmerzahl nicht erklärt, ggf. ging es hier um eine Überprüfung der Machbarkeit bzw. Tauglichkeit des Themas, wie es in Pilotstudien versucht wird. Weiter wurde postuliert, dass aus praktischen Gründen am wachen Probanden behandelt wurde, obwohl das OSAS als „obstruktives Schlaf-Apnoe-Syndrom“ definiert ist. Ebenfalls ist es den Kollegen bewusst, dass die Manipulation einer einzelnen festgelegten Struktur nicht der Philosophie der osteopathischen Behandlung entspricht.

 

Ein Diskussionspunkt ist die Grundidee dieser Interventionsstudie. Dabei geht es um die Auswirkung einer Stimulation des GPP mit dem Ziel, die Dilatationsmuskulatur im Pharynxbereich zu tonisieren. Dieses Ganglion leitet sensible, sympathische und parasympathische Fasern zum Erfolgsorgan, jedoch keine motorischen Fasern. So erschließt sich nicht diese Grundidee, dass über eine Stimulation des Ganglions

u. a. bestimmte Muskeln in ihrem Tonus moduliert werden und so die Atemwege vor einem Zusammenfallen schützen. Die Behauptung, dass postganglionäre Fasern auch zu Muskeln ziehen, wird von den Autoren aus einer Studie heraus zitiert [14]. Bei Betrachtung dieser findet sich jedoch im Text kein Hinweis darauf. Muskeln, die den weichen Gaumen und die Zunge tonisieren, sind zum einen der M. tensor veli palatini, innerviert  von  einem  Ast des

N. mandibularis, der M. levator veli palatini, versorgt vom N. vagus und N. glossopharyngeus, außerdem der M. palatopharyngeus, innerviert vom N. glossopharyngeus und N. vagus, und der M. salpingopharyngeus, innerviert vom N. glossopharyngeus. All diese Muskeln heben und spannen das Gaumensegel und den Pharynx. Nicht zu vergessen ist der M. genioglossus als Zungenstrecker, der vom N. hypoglossus innerviert wird. Dieser wird in dem Artikel als einziger direkt benannt. Keiner der oben genannten Muskeln steht somit im Zusammenhang mit dem Ner- venknoten.

Interessant sind Angaben einiger Probanden, dass sie nach der AI neben sensorischen und somatosensorischen Empfin- dungen das Gefühl hatten, dass sie besser durch die Nase atmen können. Eine Erklärung für die teils signifikanten Ergebnisse kann die Regulation des Ganglions der Nasenschleimhäute sein, was dann zu einer besseren Nasenatmung führen könnte. Ein Patient berichtete ferner über das Abklingen eines latenten Kopfschmerzes, der über einen Zeitraum von 6 Monaten vorhanden gewesen war. Erfolgreiche Therapieansätze, wie z. B. bei einem Cluster- Kopfschmerz, sind das Einsetzen eines Neurostimulators oder die Lokalanästhesie am Ganglion pterygopalatinum und lassen auf einen Zusammenhang zwischen dem Ganglion und den Kopfschmerzen schließen [15, 16].

Autorinnen/Autoren

 

 

 

Michael Welzel

arbeitet in eigener Praxis als Osteopath. Dozententätigkeit an der Still-Academy, an der er 2007 seinen Abschluss machte. Stellvertretender Vorsitzender der „Akademie für Osteopathie e.V.“ (AFO).

 

Korrespondenzadresse:

Michael Welzel D.O. M.R.O

Nino-Allee 10

48529 Nordhorn Deutschland

michael.welzel@euregiopraxis.de

 

Literatur:

[1] Stoohs RA. Widerstandssyndrom der oberen Atemwege. Deutsches Ärzteblatt 2007; 104 (12): A784–A789

[2] Kalamir A, Graham PL et al. Intra-oral myofascial therapy versus education and selfcare in the treatment of chronic, myogenous temporomandibular disorder: a randomised, clinical trial. Chiropr Man Therap. 2013; 21: 17

[3] Punjabi NM. The epidemiology of adult obstructive sleep apnea. Proc Am Thorac Soc 2008; 5: 136–43

[4] Heinzer R, Vat S et al. Prevalence of sleepdisordered breathing in the general population: the HypnoLaus study. Lancet Respire Med 2015; 3: 310–318

[5] Jordan AS, McSharry DG et al. Adult obstructive sleep apnoea. Lancet 2014; 383 (9918): 736–747

[6] TeranSantos J, Jimenez-Gomez A et al. The association between sleep apnea and the risk of traffic accidents. Cooperative Group Bur-

 

gos-Santander. N Engl J Med 1999; 340 (11):

847–851

[7] Marin JM, Carrizo SJ et al. Long-term cardiovascular outcomes in men with obstructive sleep apnoea-hypopnoea with or without treatment with continuous positive airway pressure: an observational study. Lancet 2005; 365 (9464): 1046–1053

[8] Bucks RS, Olaithe M. Neurocognitive function in obstructive sleep apnoea: a metareview. Respirology 2013; 18 (1): 61–70

[9] Levy P, Kohler M et al. Obstructive sleep apnoea syndrome. Nat Rev Dis Prim 2015; 1: 15015

[10] Vecchierini MF, Attali V et al. A custom made mandibular repositioning device for obstructive sleep apnoea-hypopnoea syndrome: the ORCADES study. Sleep Med 2015; 19 (2016): 131–140

[11] Attali V, Chaumereuil C et al. Predictors of long-term effectiveness to mandibular repositioning device treatment in obstructive sleep apnea patients after 1000 days. Sleep Med 2016; 27–28: 107–114

[12] Skobel E, Kamke W et al. Risk factors for, and prevalence of, sleep apnoea in cardiac rehabilitation facilities in Germany: the Reha- Sleep registry. Eur J Prev Cardiol 2015; 22 (7): 820–830

[13] Schulz KF, Altman DG et al. CONSORT 2010 statement: updated guidelines for reporting parallel group randomised trials. BMC Med 2010; 8: 18

[14] Robbins MS, Robertson CE et al. The spheno- palatine ganglion: anatomy, pathophysiol- ogy, and therapeutic targeting in headache.

Headache 2016; 56 (2): 240–258

[15] Khan S, Schoenen J et al. Sphenopalatine ganglion neuromodulation in migraine: what is the rationale? Cephalalgia 2014; 34 (5): 382–391

[16] Mojica J, Mo B et al. Sphenopalatine ganglion Block in the management of chronic headaches. Curr Pain Headache Rep 2017; 21 (6): 27

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